10.06.2021 | Katrin Schröder

Mitgedacht: Roboter in meinem Leben - und jetzt? - Erfahrungsbericht zum ersten Learning Circle in Hamburg

Am 14. April 2021 haben wir den ersten Learning Circle nach dem Konzept der Peer 2 Peer University (P2PU) in Hamburg durchgeführt. Titel: "Mitgedacht: Roboter in meinem Leben - und jetzt?" In diesem Beitrag berichten wir von unseren Erfahrungen.

von Axel Dürkop, Gabi Fahrenkrog, Sarah Politt und Julia Zwick
 

Beginnend mit dem 14. April 2021 trafen sich über einen Zeitraum von sechs Wochen vier Teilnehmer:innen mit Gabi Fahrenkrog (Agentur J&K – Jöran und Konsorten), Sarah Politt (Bücherhallen Hamburg/Zentralbibliothek) und Axel Dürkop (Hamburg Open Online University (HOOU) an der TU Hamburg) einmal in der Woche mittwochs um 18:00 Uhr für zwei Stunden in Zoom, um über frei zugängliches und frei verfügbares Material zum Thema Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) miteinander und voneinander zu lernen.

Der Pilot des Learning Circle in Hamburg entstand als Kooperationsprojekt von der Hamburg Open Online University (HOOU), der Technischen Universität Hamburg (TUHH), der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg), den Bücherhallen Hamburg und der Agentur J&K – Jöran und Konsorten, auf deren Initiative das Projekt zurückgeht.

Die Idee der Learning Circles

Learning Circles sind ein von der Peer 2 Peer University (P2PU) und Partnern entwickeltes, international erprobtes und wissenschaftlich evaluiertes Konzept im Bereich Open Education. Die Grundidee: Öffentliche Lernorte (z. B. Öffentliche Bibliotheken) bieten angeleitete Lerngruppen (in Präsenz) für Menschen, die an Online-Kursen teilnehmen und ihren Lernprozess absichern und erweitern wollen.

Ziel ist ein moderiertes, selbstgesteuertes und agiles Lernen in kleinen Gruppen, um der digitalen Spaltung im Bereich Bildung entgegenzuwirken. In diesem Sinne versteht sich das Projekt Learning Circles explizit als Beitrag zum Empowerment von Lernenden.

Die Idee ist einfach: Menschen, die gemeinsam zu einem vorher festgelegten Thema lernen wollen, kommen zusammen und nähern sich mit freien und offenen Bildungsmaterialien (OER) ihren individuellen Lernzielen. Dabei werden sie motiviert und begleitet von einer Person, die im Konzept der Learning Circles „facilitator“ genannt wird. Die Rolle ist ausdrücklich nicht die einer lehrenden Person, denn im Fokus steht das Lernen voneinander und miteinander.

Vorbereitung des Learning Circles in Hamburg

Gabi Fahrenkrog und Axel Dürkop hatten schon seit 2015, als die Learning Circles in den USA initiiert wurden, ihre Begeisterung für das Konzept geteilt. Bei Forschungsreisen ans MIT Media Lab in Boston, wo die P2PU verortet ist, wurde deutlich, dass auch in Deutschland nicht-akademisch vorgebildete Menschen in Learning Circles mit akademischen Inhalten lernen könnten.

In einem von der HOOU geförderten Projekt hatte Gabi Fahrenkrog für die Agentur J&K – Jöran und Konsorten in Kooperation mit der HAW Hamburg das Konzept und die Materialien der Learning Circles 2020 für den deutschen Kulturraum übersetzt und angepasst. In Gesprächen mit Julia Zwick (Agentur J&K – Jöran und Konsorten), Gabi Fahrenkrog und Sarah Politt von den Bücherhallen Hamburg entstand Ende 2020 schließlich die Idee, das Learning-Circle-Konzept auszuprobieren. Dabei sollten die adaptierten Materialien überprüft und ggf. weiter angepasst werden. Sie sind auch auf der HOOU-Plattform zu finden.

Erste Erfahrungen mit frei zugänglichen und offenen Ansätzen gab es in unserem Team durch die Veranstaltungsreihe “Technik, Ethik, Zukunft – was denkst du?”, die Axel Dürkop als HOOU-Projekt monatlich in der Zentralbibliothek durchführt. Zu diesen eineinhalbstündigen Sitzungen sind alle Menschen eingeladen, die über ethische Fragestellungen aktueller Technologietrends diskutieren möchten und sich dafür interessieren, wie bspw. KI, Blockchain, Genscheren und andere aktuelle Technologien funktionieren. Die Veranstaltungsreihe verfolgt einen ähnlichen Ansatz wie die Learning Circles, nur dass die Sitzungen in sich abgeschlossen sind und sich die Teilnehmenden zu Beginn der Sitzung mehr oder weniger spontan auf ein Thema einigen.

In unserem Team waren wir Anfang 2021 überein gekommen, den Fokus für einen Learning Circle auf das Themenfeld Robotik und KI zu lenken. Denn in der Veranstaltungsreihe “Technik, Ethik, Zukunft – was denkst du?” hatten wir gelernt, dass die Teilnehmenden immer wieder Interesse hatten, über Algorithmen, maschinelles Lernen und Big Data zu sprechen. Dazu kam, dass der Veranstaltungsbereich der Bücherhallen Hamburg sich das Thema Robotik für 2021 als Schwerpunktthema gesetzt hatte.

Die Themenauswahl

Anfang April 2021 veröffentlichten wir daher die Einladung zu einem sechswöchigen Learning Circle in der Zentralbibliothek (online). Die Interessierten konnten aus drei Themenfeldern auswählen, die wir mit beispielhaften Fragestellungen angekündigt hatten:

1. Roboter im Haushalt

  • Überwacht mich eigentlich mein Staubsauger?
  • Welche Vor- und Nachteile haben intelligente Sprachboxen?
  • Wie funktionieren automatisierte Häuser?

2. Roboter und Arbeitsplätze

  • Nimmt mir ein Roboter in Zukunft den Arbeitsplatz weg?
  • Welche Aufgaben können Roboter heute erfüllen, was werden sie in Zukunft können?
  • Werden Roboter entwickelt, die Arbeiten übernehmen, die für den Menschen gefährlich oder gesundheitsschädlich sind?

3. Roboter im Verkehr

  • Werden sich bald selbstverständlich autonome Fahrzeuge unter den Verkehr mischen?
  • Lenken Roboter Autos besser als Menschen?
  • Wie erkennt ein autonomes Fahrzeug mich als Radfahrer:in oder Fußgänger:in?

Bis kurz vor dem Start am 14. April 2021 hatten sich sieben Teilnehmer:innen angemeldet, von denen vier zum ersten Termin erschienen sind (und bis zum Ende dabei waren, soviel sei hier schon mal gespoilert!).

Materialauswahl

Das Konzept der Learning Circles sieht ursprünglich vor, dass die Person in der Facilitator-Rolle einen Online-Kurs auswählt, den sie für geeignet hält und diesen der Gruppe vorschlägt. Entscheiden sich die Interessierten für den Kurs, wird er in sechs bis acht Sitzungen gemeinsam durchgearbeitet. Dahinter stecken Erfahrungen und Forschungsergebnisse aus den Jahren 2012 bis 2015, dass Menschen ohne akademische Vorbildung der Zugang zu sogenannten Massive Open Online Courses (MOOCs) und ähnlichen Kursmaterialien schwer fällt. Dazu kommt, dass es sehr viel Selbstmotivation und Disziplin braucht, um selbständig Online-Material durchzuarbeiten, was für viele Lernwillige eine zu große Herausforderung darstellt. Die eigentliche Idee, akademische Bildung zu demokratisieren, läuft somit Gefahr, ins Leere zu laufen, wenn der freie Zugang im Netz nicht mit weiteren Maßnahmen und Angeboten flankiert wird. Am wichtigsten ist hierbei, das Lernen mit- und voneinander zu ermöglichen, damit Interessierte mit ihren Fragen und Herausforderungen nicht alleine sind. Die Lerngruppe, die durch die Learning Circles angeboten wird, wird damit zu einer weiteren Bedingung für erfolgreiches Lernen mit offenen Inhalten im Netz. In der Wissenschaft wird dieser pädagogische Diskurs unter Open Education und Open Educational Practices geführt.

Bei der Recherche im Vorfeld unserer Learning Circles ergab sich leider – wir hatten es schon geahnt – , dass es in deutscher Sprache kaum Kurse zu Robotik gibt, die für unsere Themenvorschläge geeignet waren. Wir hätten entscheiden können, den Learning Circle nach dem vorhandenen Angebot auszurichten, haben aber einen anderen Weg gewählt und in jeder Sitzung das Material, mit und an dem wir gelernt haben, gemeinsam mit der Gruppe zusammengetragen. Dieser Weg, das Expert:innenwissen aller beteiligten im Gespräch zu dokumentieren, hat sich in unserer Lerngruppe als gut und richtig erwiesen.

Durchführung des Learning Circles zu „Robotik und KI“

Erste Sitzung

In der ersten Sitzung haben sich zunächst alle Teilnehmenden vorgestellt. Neben Axel Dürkop, der die Rolle des Facilitators für den Learning Circle übernahm, waren auch regelmäßig Sarah Politt für die Bücherhallen und Gabi Fahrenkrog dabei. Gabi, Sarah und Axel haben transparent gemacht, dass sie schon sehr lange einen Learning Circle veranstalten wollten und ihre Freude zum Ausdruck gebracht, dass dies nun zusammen mit den vier Teilnehmenden möglich wird. Zudem haben wir mit den Teilnehmenden geteilt, dass wir uns selbst für das Themenfeld Robotik interessieren und uns nicht als Lehrende begreifen, sondern als Mitlernende.

Da drei Robotik-Themen zur Auswahl standen, haben wir zunächst diskutiert, was wir uns von diesen erwarten können. Es ergab sich schließlich ein Konsens für das Thema “Robotik im Haushalt”, u. a. weil diese Maschinen uns am nächsten schienen. Axel hatte für die erste Sitzung ein HedgeDoc-Pad vorbereitet, das bei Kenntnis der Adresse frei und ohne Anmeldung zugänglich für alle Teilnehmenden war.1 Der Vorschlag, hier gemeinsam zu schreiben und zu arbeiten, wurde von allen akzeptiert. Außer Mails, die Axel nach jeder Sitzung mit einer Zusammenfassung verschickt hat, kamen keine weiteren Tools zum Einsatz.2

Für die Kommunikation mit den Teilnehmenden haben wir uns das individuelle Einverständnis geholt, über Mail für den Zweck des Learning Circles zu kommunizieren. Nachdem sich die Teilnehmenden durch die Diskussion ein bisschen besser kennengelernt hatten, haben wir aus dem Team vorgeschlagen, auch die Mailadressen untereinander zu teilen, um über die Wochen miteinander in Kontakt treten zu können. Dem haben alle zugestimmt, jedoch wurde diese Möglichkeit während der sechs Wochen unseres Wissens nach wenig bis gar nicht genutzt. Erst jetzt nach dem Ende des Learning Circles wird dieser Kanal genutzt, um einander weiterhin über Quellen und Inspirationen zu informieren.

Lernen in der Diskussion

In der zweiten Sitzung haben wir alle festgelegt, was wir in den fünf weiteren Sitzungen erreichen bzw. lernen wollen, und dies in unserem Pad schriftlich festgehalten. Im Laufe der Sitzungen konnten wir so immer wieder darauf zu sprechen gekommen. Im Rückblick auf den Learning Circle sind wir überzeugt davon, dass u. a. diese gleichberechtigte und hierarchiearme Struktur in der Zusammenarbeit zu der offenen Lernathmosphäre in der Gruppe beigetragen hat.

Gemäß des Konzepts von Learning Circles haben wir jede Sitzung damit begonnen, interessante oder spannende Beobachtungen zum Thema aus der vergangenen Woche zu berichten. Axel hatte mehrmals einen Text ausgesucht, an dem wir uns abgearbeitet haben. Allerdings überwog die Lust, miteinander in den Austausch zu treten, und die gemeinsame Zeit nicht auf “Stillarbeit” zu verwenden.

Thematisch haben wir in diesem Modus sehr viele Facetten des Komplexes Robotik und KI gestreift. Ausgehend von der Darstellung in Film und Science Fiction haben wir über Rollenbilder von Robotern und KIs gesprochen, Genderaspekte diskutiert und das Verhältnis von Mensch zu Maschine zu greifen versucht. Wir haben untersucht, was eine zu große Ähnlichkeit von Maschinen zu Menschen mit uns macht (uncanny valley) und ob wir Roboter ähnlich wie Tiere betrachten sollten (z. B. The New Breed von Kate Darling, 2021).

Weiter haben wir über human enhancement und Transhumanismus gesprochen, einen Exkurs zur Singularity unternommen und immer wieder die Rolle von Robotern und KI in Kunst und Theater besprochen. Unsere Diskussion kann anhand unserer frei zugänglichen Lernmaterialie und den dortigen Zusammenfassungen nachvollzogen werden.

In Kontakt bleiben

Axel hat nach jeder Sitzung eine Zusammenfassung an die Gruppe geschickt und die wesentlichen Punkte der Diskussion noch einmal gedanklich aufgearbeitet. Es ist nicht vorgekommen, dass eine teilnehmende Person unserer Gruppe unentschuldigt gefehlt hat. Wie schon erwähnt, kam nach Ende unseres Learning Circles schon eine erste Mail einer Teilnehmerin mit neuen Informationen zu unserem Thema.

In der letzten Sitzung haben wir besprochen, ob und wie wir unseren Austausch fortsetzen können, und uns auf Mail verständigt, falls es zu einer Neuauflage eines Learning Circles kommt.

Zusammenfassung und Ausblick

Wir werten den ersten Learning Circle in Hamburg zum Thema Robotik und KI als vollen Erfolg. Diesen messen wir nicht an der Zahl der Teilnehmer:innen, sondern an der Qualität und Intensität der Debatte sowie der sozialen Verbindlichkeit, die sich in unseren Online-Sessions entwickelt hat.

Das deutschsprachige Anleitungsmaterial, das im Nachgang des Learning Circles auf der HOOU-Plattform veröffentlicht werden wird, ermöglicht es allen Interessierten, selbst einen Learning Circle anzubieten. Öffentliche Bibliotheken eignen sich mit ihren frei zugänglichen Lernräumen sehr gut dazu, gemeinsam in dieser Form zu lernen.

Dass wir den Learning Circle per Videokonferenz durchführen mussten, war nach einem Jahr pandemiebedingter Einschränkungen zumindest für unsere Gruppe kein Problem. Wir sind uns aber im Klaren, dass wir durch diese Form ggf. Menschen nicht für das Angebot gewinnen konnten, die zwar interessiert waren, denen der Zugang aber aus diversen Gründen verwehrt ist. Möglich ist auch, dass die Bewerbung des Angebots auf rein digitalem Weg ebenfalls ausschließend war.

Besonders aus diesem Grund freuen wir uns auf eine zukünftige Neuauflage der Learning Circles. Dann ist es hoffentlich möglich, bspw. die Laufkundschaft der Bücherhallen mit größerem zeitlichen Vorlauf für das Angebot zu interessieren, das Thema in einer partizipativeren Form auszuhandeln und die Sitzungen in Präsenz durchzuführen.


  1. Wir veröffentlichen die Inhalte dieses Pads zeitnah als redaktionell bearbeitetes OER-Material.↩︎

  2. Axel hat in der vierten Sitzung einen Versuch unternommen, das Tool Hypothesis zum Lesen eines Textes einzusetzen. Dazu kam es aber nicht, weil die Sitzung anders verlaufen ist. Es wurde keine Ablehnung gegenüber dem Tool geäußert. Beim nächsten Mal würden wir versuchen, es früher und zentraler zu etablieren.↩︎

CC

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