Eine große Kugel wird von einem Mann den Berg hinaufgerollt; darauf zu sehen der Text Schule der Folgenlosigkeit

Schule der Folgenlosigkeit

17.10.2022 | Katrin Schröder

Schule der Folgenlosigkeit

Wie lassen sich mehr Menschen durch Kunst und Kultur mit dem Thema Nachhaltigkeit erreichen, vielleicht sogar von der Dringlichkeit des nachhaltigen Lebens überzeugen?

„Anwendungsbericht“ zu einer künstlerischen App

Wie lassen sich mehr Menschen durch Kunst und Kultur mit dem Thema Nachhaltigkeit erreichen, vielleicht sogar von der Dringlichkeit des nachhaltigen Lebens überzeugen? Das war die Leitfrage, die Prof. Friedrich von Borries von der Hochschule für bildende Künste Hamburg (HFBK) zu dem künstlerisch-diskursiven Projekt „Schule der Folgenlosigkeit“ motivierte. Um das Konzept der Folgenlosigkeit erlebbar zu machen, hat er unter anderem eine App entwickelt – in Kooperation mit der Hamburg Open Online University (HOOU) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Die App lässt Nutzer*innen auch ohne Vorwissen in das Konzept der Folgenlosigkeit theoretisch wie praktisch eintauchen. Das macht nicht nur Spaß, sondern inspiriert zugleich Gedanken über das eigene Handeln und dem, was daraus folgt – oder eben auch nicht.

Schule der Folgenlosigkeit

Folgenlosigkeit als neues Ideal

Die Idee der Folgenlosigkeit ist für Friedrich von Borries ein Ideal, das vergleichbar wie Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit niemals erreichbar, aber dennoch erstrebenswert ist. Folgenlosigkeit erleben Menschen auf verschiedene Art und Weise: zum Beispiel als negative Erfahrung im Ohnmachtsgefühl der Protestbewegungen genau wie als positive Hoffnung auf ein folgenloses Leben, das keine (negativen) Auswirkungen auf das der anderen hat.

Die Folgenlosigkeit beschreibt das Dilemma der Gegenwart. Die Klimakatastrophe zeigt uns, dass unser Handeln gravierende Folgen hat. Gleichzeitig scheint es, als ob viele Bemühungen, dagegen etwas zu tun, folgenlos bleiben. Ich will mich aber weder dem Wunschdenken noch der Verzweiflung ergeben. Ich erhebe deshalb die Folgenlosigkeit zum neuen Ideal.

(Friedrich von Borries in der App „Schule der Folgenlosigkeit“ von refrakt )

Schule mit viel Ironie

In der App „Schule der Folgenlosigkeit“ führt Friedrich von Borries als Moderator selbst durch die verschiedenen Stationen dieses Konzepts. Das hat wenig bis gar nichts mit dem herkömmlichen Philosophie- oder Ethikunterricht zu tun: Schule und Folgenlosigkeit schließen sich von der Idee her ja auch eigentlich aus. Und ganz anders als wir es von einer Lehrkraft erwarten würden, nimmt sich „Schulleiter“ von Borries niemals ernst, sondern zeigt sich im Gegenteil voller Ironie selbst immer wieder in amüsanten Szenen, sei es im Bett im Wald oder im Paddelboot im See.

Die App lädt ein, sich alleine oder in der Gruppe spielerisch mit kleinen, humorvollen, praktischen Experimenten der Folgenlosigkeit zu nähern und das eigene Erleben mit Inputs von Expert*innen abzugleichen und zu vertiefen: „Üben Sie ein folgenloses Leben“. Für jede abgeschlossene Übung erhalten die Nutzer*innen Punkte – am Ende gibt es ein „Zertifikat der Folgenlosigkeit“.

Breite Inspirationsquellen für unterschiedliche Themenfelder

Das Konzept der Folgenlosigkeit bedient sich aus unterschiedlichen Inspirationsquellen, angefangen bei religiösen Vorstellungen, zum Beispiel der christlichen Asketen oder vom buddhistischen Nirwana bis hin zu philosophischen Ideen der antiken Stoiker und Zeitgenossen wie Henning Ottmann. Nicht zuletzt spielen auch Vorstellungen aus der Kunst eine Rolle, wie sie etwa von Bazon Barock formuliert werden. Das alles klingt in den Übungen und Tutorials an und wer mag, wird es weiter vertiefen. Anders als im Curriculum in der Schule bauen die Themen nicht aufeinander auf, sondern können in beliebiger Reihenfolge gewählt werden.

Insgesamt sind es zehn Themenfelder, in die sich die App gliedert – unter anderem „Warten“, „Zerstören“, „Solidarität“, „Verzicht üben“, „Besinnung verlieren“, „Gegenmacht erstellen“ und „Zusammenhalt schaffen“. In jedem Themenfeld gibt es eine theoretische Einführung von Expert*innen wie der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, dem Soziologen Hartmut Rosa, dem Klimaaktivisten Tadzio Müller oder dem Schauspieler Eric Stehfest. 

Selbstwirksamkeit üben

Bei den Übungen werden die Nutzer*innen selbst aktiv. In der App rollen sie den Stein des Sisyphos einen virtuellen Berg hoch, tanzen mit dem Smartphone oder erstellen ein Video über ihre persönliche Zukunftsversion. Die Übungen enthalten auch Interventionen im öffentlichen Raum: Wer den Anweisungen folgt und ein Ei balanciert oder anderen Menschen eine Zeitlang folgt, darf mit Resonanz rechnen und wird eingeladen, die eigenen Erfahrungen mit dem #folgenlos in sozialen Medien teilen – ein Widerspruch zur Folgenlosigkeit?

Ich finde an der Folgenlosigkeit natürlich auch total spannend, dass sie interpretationsoffen ist. Mein Ansatz ist, im Sinne eines künstlerischen Projekts, Anregungen zu geben, Denkanstöße und Provokationen – und eben nicht im Sinne eines politisch oder gar religiös-missionarischen Projekts zu behaupten, dass ich die Lösung und die Wahrheit gefunden hätte.

(Friedrich von Borries in „Hamburg hoert ein HOOU“, Podcast-Episode 12. Februar 2021)

Die App gibt es unter „Schule der Folgenlosigkeit“ kostenfrei in den App-Stores. Die Umsetzung erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Künstler*innenkollektiv und Designbüro „refrakt“. Auf der Lernplattform der HOOU finden sich in der Beschreibung der Lerneinheit weitere Hinweise zu Lernzielen und für die Nutzung in der Schule oder anderen Kontexten des Lernens.

Kostenloser Download Google Play Store und im Apple App Store.